Henry Wermuth - Atme, mein Sohn, atme tief  

Sonntag, 18. Oktober 2009


Meine Freundin hat ihre Büchersammlung aufgelöst und da war dieses Buch dabei.
Es geht um die Erfahrungen des Autoren in diversen Arbeits- und Vernichtungslagern.
Ein Thema, dass mich schon immer sehr bedrückt aber auch interessiert und beschäftigt.
Aber weil ich das alles so schlimm finde bin ich bisher nie über die Erzählungen von Anne Frank hinaus gekommen.

*~*~*Der Preis und Umfang*~*~*
Gekostet hat das Buch mit seinen 317 Seiten 7,95€.
Es handelt sich hier wie gesagt um eine Taschenbuchausgabe von Weltbild.
ISBN: 978-3-89897-783-8
Das Buch ist in mehrere große Kapitel eingeteilt, die viele kurze Unterkapitel haben.
Ein sehr gelungener Aufbau für meinen Geschmack.
Man kann sehr schnell durch das Buch fliegen.

*~*~*Der Autor*~*~*
Henry Wermuth erzählt in diesem Buch die wahre Geschichte von seinem eigenen Überleben im Vernichtungslager Auschwitz und vom tragischen Schicksal seiner Familie.
Er lebt mit seiner Familie in London.
(Infos aus dem Buch selber)

*~*~*Kurzinhalt Buchrücken*~*~*
Nach der Deportation im Jahre 1939 beginnt für den jungen Henry Wermuth eine Odyssee durch die deutschen Konzentrationslager.
„Atme, mein Sohn, atme tief“ war der einzige Rat, den Henrys Vater seinem Sohn mitgeben konnte – für den Fall, dass sie beide ins Gas geschickt würden.
Doch Henry überlebt, und nach vierzig Jahren bricht er sein Schweigen, um denen ein Denkmal zu setzen, die grausam ermordet wurden.
*~*~*Inhalt*~*~*
Henry ist ein normaler Junge einer jüdischen Familie, der in Deutschland ein glückliches Leben führt.
Doch leider passieren zu der Zeit seiner Kindheit schlimme Dinge, die einfach nie hätten passieren dürfen.
Das so schon nicht immer einfache Leben zu Kriegszeiten wird zu den schlimmsten Geschehnissen der jüdischen und allgemeinen Geschichte.
Henrys Familie gehört zu den „gejagten und verhassten“ jüdischen Familien, die immer mehr an Stand in der Gesellschaft verlieren.
Der kleine Junge muss erleben, wie seine Familie beschimpft und verletzt wird.
Wie sie nach und nach an Wohlstand verliert und sich von immer mehr Hab und Gut trennen muss.
Das Leben wird eine Wanderung, denn die Familie muss mehrfach und in immer kleinere Wohnungen umziehen.
Doch die Familie hält zusammen und versucht das Beste aus der Situation zu machen.
Henry wird früh zur Verantwortung gezogen und muss helfen für die Familie zu sorgen.
Das Essen wir knapp.

Obwohl es die Familie Wermuth verhältnismäßig lange zusammen ausgehalten hat, werden auch sie irgendwann getrennt.
Der junge Henry soll seine Mutter und seine kleine Schwester nie wieder sehen …
Für ihn und seinen Vater beginnt eine schwere Zeit in den verschiedensten Konzentrationslagern in Deutschland und auch Österreich.
Diese Zeit ist mit viel Arbeit, Schmerz, Hunger und Angst verbunden.Für Henry ist sein Vater die große Stütze.
Er steht mit seiner Erfahrung an Henrys Seite und die beiden schaffen es über viele Jahre nicht getrennt zu werden und auch zu überleben.
Sie entkommen Selektion und Massenvernichtungen durch immer wieder schlaues Handeln.
Und viel Glück.
Doch irgendwann hat jedes Glück ein Ende …
*~*~*Leseprobe*~*~*
„Wir mussten einzeln an diesem uniformierten „Gott“, der mit einer kleinen Bewegung seines Daumens über Leben und Tod entschied, vorbeigehen.
Mit dieser Bewegung wählte er diejenigen aus, die seiner medizinischen Weisheit gemäß noch arbeitsfähig waren.
Die armen Kerle, deren Kraft und Gesundheit systematisch unterminiert worden waren, waren reif für die Gaskammer.
Sein Entschluss würde von keiner anderen Gottheit wiederrufen werden, und der anwesende „Gott“ würde bestimmt auf keine Gebete reagieren.
Dieser Todesengel traf seine Wahl willkürlich.
Einige, von denen ich gedacht hätte, dass sie noch ganz passabel beisammen waren, wurden mit dem diabolischen Daumen nach „links“ beordert.
Die Selektion war nicht nur auf die skelettartigen „Muselmänner“ beschränkt.
Häftlinge, denen die Härte des neuen Lebensstils zu sehr anzumerken war, die in Sorge um ihre Familien vorzeitig ergraut oder frühzeitig gealtert waren, wurden auch für den Tod bestimmt.
Vater wies mich an, meinen Bauch herauszudrücken, um meine Chancen zu erhöhen.
Im Vergleich zu der großen Mehrheit meiner angsterfüllten Kameraden war ich wohlgerundet; außerdem hatte ich gerade eine dreiwöchige „Erholung“ hinter mir.“
(S. 227)

*~*~*Mein Fazit*~*~*
Was hat mich dieses Buch erschüttert …
Ich habe aus diesem Bereich bisher nur das „Tagebuch der Anne Frank“ gelesen.
Das hat mich damals schon sehr beschäftigt und bedrückt, aber ihre Erzählungen enden ja mit ihrer Entdeckung.
Und natürlich wurden diese Themen in der Schule ausgiebig behandelt.
Aber so einen Erfahrungsbericht eines Überlebenden zu lesen ist schon etwas anderes und hat meine bisherigen Vorstellungen und Gedanken bestätigt und noch übertroffen, im negativen Sinn.

Henry ist noch ein Kind, als sein Leben eine so schlimme Wendung nimmt.
Das Leben vor der Verhaftung muss schon furchtbar gewesen sein.
Der Junge wird sogar zum Dieb aus Hunger und der Vater muss am Schwarzmarkt tätig werden und riskiert alles für seine Familie.
Henry Wermuth hat so in Not gelebt, dass es einen zerreißt, dass man in das Buch springen und helfen will.

Und dann die Trennung der Familie …
Die Ungewissheit wo Mutter und Schwester sind und ob sie noch leben.
Das muss so ein schreckliches Gefühl sein.
Doch Henry hat durchweg Stärke bewiesen und durchaus clever gehandelt.
Er hat immer dafür gesorgt bei seinem Vater zu bleiben und hat dafür oft einiges riskiert.
Er musste so schnell erwachsen werden, obwohl er noch ein Kind, ein Jugendlicher war.
Es ist beeindruckend, wie die beiden es immer wieder geschafft haben zu überleben.
Wenn man sich vorstellt, dass über 6 Millionen Juden getötet wurden …
Das ist der Wahnsinn und treibt mir gerade wieder Gänsehaut auf den ganzen Körper.

Henry Wermuth beschreibt das Leben in den diversen Vernichtungs- und Arbeitslagern.
Das übertraf meine Vorstellung bei weitem.
Man hat die Bilder der Baracken vor sich, mit den Etagenbetten mit abgemagerten Menschen in gestreiften Anzügen.
Aber ich habe irgendwie verdrängt, dass es ja Arbeitslager waren.
Die Beschreibungen von Henry erinnern an die Sklavenarbeiten zu Zeiten der Ägypter.
Diese schwere körperliche Arbeit bei jedem Wetter hat so viele in den Tod getrieben.
Dazu ein Minimum an Nahrung und der psychische Druck … schrecklich.

Die Willkür Einzelner, die über Leben und Tod entschieden hat, ist schockierend und absolut unmenschlich.
Diese Buch hat so viele Gedanken in mir ausgelöst wie es schon lange nicht mehr nichts und niemand geschafft hat.
Es waren für mich so viele noch erschreckendere Tatsachen, als ich so schon wusste.
Z.B. die Abtransporte in andere Lager.
Mir war bekannt, dass die Leuten massenweise in Züge gedrängt wurden und in den Wagons umkamen.
Aber Henry beschreibt, wie diese überfüllten Züge teilweise 4 Woche an einer Stelle stehen, bevor die Menschen wieder raus in die Lager kommen.
4 Wochen zwischen Leichen bei Hitze und Kälte, ohne die Möglichkeit zu liegen, richtig zu sitzen oder woanders auf Toilette zu gehen.
Diese Erniedrigungen sind einfach furchtbar.

Henry war ein besonderer Jugendlicher, der alles riskiert hat um zu überleben.
Der nie aufgegeben hat und der sogar versucht hat Hitlers Zug entgleisen zu lassen, wofür er 1995 mit einer Medaille geehrt wurde.
Er beschreibt, dass die meisten Überlebenden bis heute Schweigen und nicht über die Geschehnisse reden, dennoch von schlimmen Träumen geplagt werden.
Es ist gut, dass Henry Wermuth es geschafft hat zu reden, seine Erfahrungen aufzuschreiben.

Ich schäme mich für mein Unwissen und teilweisem Verschließen vor solchen Themen.
Man darf in diesem Bereich einfach keine Bildungslücke und Desinteresse haben, egal in welchem Alter.
In unserem Land ist etwas ganz Schlimmes passiert und es sollte jedem bewusst sein, wie schlimm das wirklich war.
Es sollte nicht ein Pflichtstoff in der Schule sein, den man sich eben anhört, aber dann nicht weiter beachtet.
Jeder sollte sich Gedanken machen und mit dieser schlimmen Zeit beschäftigen.
Allein aus Mitgefühl für die vielen, vielen leidenden Menschen.

Daher kann ich euch dieses Buch nur ans Herz legen.
Für mich eine must-be-Lektüre für jeden.
Henry Wermuth hat zusätzlich einen angenehmen Schreibstil, was meine Empfehlung nur verstärkt.
Natürlich vergebe ich die vollen 5 Sterne für ein Buch, das mir mal wider die Augen geöffnet und meinen teilweise eingeschränkten Horizont erweitert hat.
Es rührte mich zu Tränen und schaffte es mich zu schockieren, obwohl ich dachte „das Wichtigste“ zu wissen.

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1 Kommentare: to “ Henry Wermuth - Atme, mein Sohn, atme tief

  • Bonny
    5. November 2009 um 12:25  

    Au, alle Achtung, ich hätte mir das Buch nicht zugetraut...

    Irgendwie nimmt mich sowas dann immer zu sehr mit, so dass ich diese Art von Büchern doch lieber meide...

 

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