Ulrike M. Dierkes – Schwestermutter  

Sonntag, 7. Dezember 2008


So nach und nach taste ich mich mit meiner Bücherwahl an ein neues Genre.
Im Moment lese ich ab und an gerne Bücher, die auf wahren Begebenheiten basieren.
Meist geht das dann in Richtung Schicksalsberichte.
Ich finde es interessant realistische „Geschichten“ aus diversen Bereichen zu lesen, mit welchen man sonst nicht in Berührung gerät.

In diesem Buch geht es um das Thema Inzest, mit welchem ich bisher, weder aus der Schule noch von Erzählungen, in Berührung geraten bin.
Das Buch hat mich interessiert, da die Autorin selber die Erfahrung als Inzestkind gemacht hat.
Beim Thema Inzest habe ich mir bei diversen Reportagen bisher immer nur Gedanken über die Handelnden gemacht, aber nie über die „Opfer“.
Warum kann ich nicht genau sagen.
Dieser Gedanke brachte mich dazu das Buch zu bestellen, um eine neue Sichtweise in einem mir unbekannten Themengebiet kennenzulernen.

*~*~*Die Optik*~*~*
Das Cover ist bei meiner Ausgabe von DerClub sehr einfach, aber wirkungsvoll gestaltet.
Es ist in hellen Pastelltönen gehalten und zeigt ein kleines Mädchen, schätze mal 5 Jahre, mit einem Teddy im Arm, wie es auf dem Boden sitzt.
Das Mädchen sieht ängstlich und traurig aus, was eindeutig die Stimmung des Buches wiedergibt.
Auf Vorder- und Rückseite wurden Aufschriften relativ schlicht gehalten.
Mir gefällt das Cover ganz gut, da es eine gewisse Stimmung ausdrückt.
Gleichzeitig wird beim Betrachter aber auch ein gewisses Mitgefühl ausgelöst, was man beim Lesen des Buches aber auch von alleine aufbaut.
*~*~*Der Preis und Umfang*~*~*
Gekostet hat das Buch mit seinen 250 Seiten 7,45€.
Es handelt sich wie gesagt um eine Taschenbuchausgabe von DerClub.
Das Buch hat 20 Kapitel.
Die Länge der Kapitel ist sehr angenehm.
Jedes Kapitel schildert einen neuen Abschnitt oder eine neue Begebenheit, was mir recht gut gefällt.
Dennoch geht der Zusammenhang nicht verloren.

*~*~*Die Autorin*~*~*
Ulrike M. Dierkes ist Vorsitzende des Vereins M.E.L.I.N.A e.V., der die Interessen von Inzestopfern vertritt.
(Angaben aus dem Buch)

*~*~*Weitere Bücher der Autorin*~*~*
Meine Schwester ist meine Mutter
Melinas Magie

*~*~*Kurzinhalt Buchrücken*~*~*
Sie ist fünf, als eine Nachbarin zu ihrer Mutter sagt: „Sieht doch ganz normal aus, das Kind.“
Sie ist zwölf, als sie versteht, dass die Frau, die sie immer für ihre Mutter gehalten hatte, nicht ihre Mutter ist.
Sondern ihre große Schwester.
Dass ihr Vater nicht im Krankenhaus ist, sondern im Gefängnis.
Verurteilt wegen Kindesmissbrauchs.
Das Beweismittel: sie.
*~*~*Inhalt*~*~*
Eine Inhaltsangabe fällt mir hier sehr schwer, da dieses Buch für die „wenigen“ Seiten ziemlich komplex ist.
Die Autorin schreibt dieses Buch aus der Ich-Perspektive, da es auf wahren Begebenheiten aus ihrem Leben beruht.
Sie wächst zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern in einem Haus in Ostbevern, einem Bauerndorf in Westfalen, nach dem zweiten Weltkrieg auf.
Da es sich um ein richtiges Dorf handelt, machen schnell kuriose Geschichten die Runde, die das kleine Mädchen noch nicht versteht.
Doch die Bewohner haben alles richtig mitbekommen.
Marina, die Schwester von Ulrike, wurde über Jahre hinweg von dem Vater missbraucht.
Das Resultat war Ulrike, was der Familie einen üblen Ruf im Dorf bescherte.
Doch nicht nur damals und in diesem Dorf.
Ulrike musste ihr ganzes Leben unter diesem Schicksal leiden.
Marina flüchtet von zu Hause und lässt ihre Schwester, bzw. Tochter zurück.
Ulrike vermisst ihre grosse Schwester, wird von ihrer Mutter verachtet, fühlt sich aber immer zu ihrem Vater hingezogen.
Mit jedem weiteren Schritt in ihrem Leben werden Ulrike diverse Anspielungen und Geschehnisse immer klarer.
Sie versteht nach und nach ihr Schicksal und ist hin und hergerissen.
Ihre Schwester ist ihre Mutter, Ulrike ist ein Kind, entstanden durch Missbrauch.
Aber ihre Schwester akzeptiert sie nicht als ihre Tochter, und bekommt auch schnell ein weiteres Kind.
Zu Hause fühlt sich Ulrike aber auch nicht mehr wohl, da sie von ihrer „Mutter“ mehr als schlecht behandelt wird.
Sie versucht eine Ebene zu ihrer Mutter Marina zu finden, doch die sieht in ihrer Tochter immer nur den Vater, der sie über all die Jahre gequält hat, und kann so keine Bindung aufbauen.
Das alles sind Schicksalsschläge für Ulrike und sie muss lernen ihr Leben selbst zu meistern.
Sie heiratet sehr früh und versucht eine Familie zu gründen, in welcher sie ausleben kann, was ihrer Kindheit fehlte.
Doch eine Fehlgeburt bringt den nächsten Schicksalsschlag.
Ausserdem drängen sich immer wieder die alten Familienmitglieder in ihr Leben, was immer wieder Rückschläge mit sich bringt.
Ulrike bekommt keine Ruhe.
Und ihre Ehe läuft alles andere als Rund.
Sie verlässt ihren Mann und stürzt sich in einen neuen Lebensabschnitt.
Nach und nach geht Ulrike aus ihrer Opferrolle in die Offensive.
Sie berichtet aus ihrem Leben, lernt damit umzugehen und so andere zu helfen.
Sie tritt in die Öffentlichkeit und scheint endlich angekommen zu sein, auch dank einer neuen Familie.
Aber die Vergangenheit versucht immer wieder die Zukunft zu beeinträchtigen.

*~*~*Leseprobe*~*~*
„Marina, meine Schwestermutter, kehrt ebenfalls in ihr Elternhaus zurück.
Sie wir mit sechzehn Jahren aus dem katholischen Erziehungsheim ins Elternhaus entlassen – in das Haus ihres Peinigers.
Nun ist die Familie komplett.
Eine unheilvolle Konstellation.
So liebevoll mein Vater mit mir in manchen Situationen umgeht, so beängstigend sind die Vorfälle, die ich im Haus miterlebe.
„Marina“ schallt die Bassstimme meines Vaters durchs Haus.
Sofort spüre ich eine diffuse Aufregung.
Gleich passiert etwas Schlimmes…
Ich verkrieche mich in eine Ecke im Wohnzimmer, wo ich für meine liebste Puppe einen kleinen Thron aus Kissen gebaut habe, damit sie sich wie eine Prinzessin fühlen kann.
„Marina! Komm her! Sofort!“
Die Dielen knarren unter den schweren Schritten meines Vaters.
Ich höre die dünne Stimme meiner Schwestermutter.
„Nein, nein …“, fleht sie.
Vater wird böse.
Seine dröhnende Stimme und sein wütendes Schnaufen schallen durchs Haus, während er Marina nachstellt.
Ich drücke meine Prinzessinnen-Puppe an mich, während ich beobachte, wie Marina um den Esstisch läuft.
Sie ist schmal und sieht zerbrechlich aus in der weißen Bluse und dem karierten Rock.
Der Vater greift über den Tisch nach ihr, aber sie kann zurückspringen.
Sie fällt.
Auf allen vieren flüchtet sie vor ihm.
Für einen Moment sehe ich ihre Unterhose, die zu gross für sie ist.
Es blitzt etwas daraus hervor.
Es sieht aus wie eine Papierserviette, an einigen Stellen ist es rot wie Blut.
Die Frau meines Vaters steht weinend da und knetet nervös ihre Hände.
Ich stecke den Daumen in den Mund und hoffe, dass ich nicht bemerkt werde.
Mein Herz klopft schnell und fest gegen meine Brust.
Ich verstehe nicht, was hier passiert, aber es macht mir Todesangst.
Marina ist irgendwann erschöpft, und der Vater packt sie am Oberarm und zieht sie mit sich in sein Atelier.
Während sie nach oben steigen, wird das Schluchzen und Wimmern in meinen Ohren leiser.
In meiner Puppenecke kehrt wieder Ruhe ein.
Aber es ist keine gute Ruhe.
Der Kissenthron ist zerdrückt.“
(Kapitel 4, S. 32/33)

*~*~*Mein Fazit*~*~*
Dieses Buch hat mich wirklich erschüttert und bedrückt.
Das Thema Inzest war mir bisher nur aus diversen Reportagen bekannt.
Inzest war für mich die Liebe zwischen Verwandten, meist Geschwistern.
Aber Inzest in Kombination mit Kindesmissbrauch kam mir bisher nie in den Sinn, obwohl es so unendlich schlimm ist.
Meine Einstellung war immer: Lass doch Bruder und Schwester Gefühle füreinander haben.
Jeder wie er es möchte.
Wer hat das Recht Gefühle und Liebe zu verbieten?
Diese Paare müssen nur vernünftig genug sein und auf Nachwuchs verzichten, da das einfach zu gefährlich ist.

Aber jetzt öffnen sich mir neue Welten, die mich erschüttern.
Wie kann ein Vater seine 12jährige Tochter schwängern?
Wie kann die Mutter nichts dagegen unternehmen?
Wie können die anderen Leute tratschen, ohne wirklich was zu unternehmen?

Die Geschichte von Ulrike M. Dierkes ist der reinste Horror.
Sie wächst mit ihren Eltern und der Schwester, die die eigentliche Mutter ist, in einem Haus auf, und muss miterleben, wie ihr Vater sich an der Schwester vergreift.
Auch wenn es ihr damals noch nicht so bewusst war.
Ulrike war von Anfang an gestraft.
Gott sei Dank hat die Geburt als Inzestkind keine grossen gesundheitlichen Schäden hinterlassen, aber ihre Kindheit war schrecklich.
Von der Ziehmutter verachtet, von der leiblichen Mutter ignoriert.
Ulrikes Zuflucht ist der Vater, ein Kinderschänder!
Dabei darf nicht das Schicksal von Marina vergessen werden.
Wie kann sie Bezug zu ihrer Tochter aufbauen, wenn sie selbst noch ein Kind ist und in ihrer Tochter immer wieder den eigenen Vater, den Kinderschänder, sieht?
Abwehr ist total verständlich, auch wenn Ulrike darunter leiden musst.
Es ist bedrückend zu erfahren, welches Leben Ulrike führen muss, ohne etwas dafür zu können.
Sie wird ihr Leben lang in gewisser Weise verachtet und bekommt nie die Unterstützung, die sie so dringend benötigt.
Ihr ganzes Leben ist eine Qual und ein Stein folgt dem nächsten auf ihrem Weg in die Zukunft.
Umso bewundernswerter, was sie nach vielen, vielen Jahren aus ihren Leben gemacht hat.
Ulrike M. Dierkes ist an die Öffentlichkeit gegangen und setzt ihre schrecklichen Erfahrungen um in Informationen und Hilfe für andere Inzestopfer.
Heute hilft sie vielen Menschen was ich hochachtungsvoll bewundere.
Ich stelle es mir nicht leicht vor Leuten zu helfen und dabei ständig mit dem eigenen Schicksal konfrontiert zu werden.
Ein sehr bewegendes Buch, welches viele Gedanken in mir ausgelöst hat.
Ich kann das Buch jedem ans Herz legen, da es Sichtweisen aufweist, die bisher meiner Meinung nach zu sehr unter den Teppich gekehrt wurden.
Mir fiel beim Lesen auf, wie wenig ich doch bisher von Inzest gehört habe.
Und Totschweigen ist genau der falsche Weg.
In diesem Buch wurde mit Sicherheit die schlimmste Form von Inzest geschildert, aber es gibt einen erschreckenden Einblick, wie sich solche Vorfälle durch das komplette Leben ziehen können.
Viel schlimm die Menschen sein können und einen Menschen von klein auf leiden lassen, obwohl er sein Schicksal nicht selber bestimmt hat.

Ich spreche euch ganz klar meine Empfehlung aus und meiner Meinung nach sollten so viele Menschen wie möglich dieses Buch lesen, um vielleicht mal den eigenen Horizont zu erweitern.
Ich war über meine fehlenden Gedanken etwas irritiert.
Dennoch kann ich nur 4 Sterne vergeben.
Ulrike M. Dierkes hat hier ein klasse Buch auf den Markt gebracht und ich rechne ihr wie gesagt hoch an, wie sie sich um andere Betroffene kümmert mit ihrer Arbeit und den Organisationen.
Der letzte Teil des Buches ist mir aber zu kommerziell, da er nur noch auf ihre TV-Shows, Artikel und weitere Bücher hinweist.
Das kann man erwähnen, muss es aber nicht über 30 Seiten und mehr in seine „Geschichte“ einfliessen lassen, auch wenn es ein Abschnitt des Lebens ist.

AddThis Social Bookmark Button

Email this post


 

Counter

Design by Amanda @ Blogger Buster

>Bloggeramt.de BlogPingR.de - Blog Ping-Dienst, Blogmonitor